WTF is Erring on the Side of Least Drama?

Warum zu viel Vorsicht gefährlich werden kann

Viele hoffen ja darauf, dass es schon nicht so schlimm wird, wie die Wissenschaft prophezeit. Dabei ist es eher umgekehrt – die Vorhersagen sind viel zu vorsichtig. So beschreibt der Begriff „Erring on the Side of Least Drama“ (ESLD) eine Haltung, bei der Wissenschaftler*innen und Institutionen im Zweifel lieber vorsichtige, weniger alarmierende Aussagen treffen, auch wenn die tatsächlichen Risiken größer sein könnten. Im Kontext der Klimakrise bedeutet das: Statt dramatische, aber realistische Szenarien zu kommunizieren, werden häufig konservativere Prognosen veröffentlicht, um nicht als „Alarmistin“ oder „Panikmacher“ zu gelten.

Warum handeln Wissenschaftler*innen so vorsichtig?

  • Wissenschaftliche Kultur: Die Grundwerte der Wissenschaft – Skepsis, Objektivität, Zurückhaltung – führen dazu, dass besonders dramatische Aussagen mit großer Vorsicht behandelt werden. Je dramatischer eine Aussage, desto kritischer wird sie von Kolleg*innen geprüft.
  • Angst vor „Alarmismus“-Vorwürfen: Klimaforscher*innen werden regelmäßig von Klimaskeptiker*innen und politischen Akteuren beschuldigt, übertrieben zu warnen. Um diesen Vorwürfen zu entgehen, neigen sie dazu, Risiken eher zu unterschätzen als zu überschätzen.
  • Peer-Pressure: Auch innerhalb der Wissenschaftsgemeinschaft besteht die Tendenz, sich mit vorsichtigen Aussagen abzusichern, um nicht angreifbar zu sein.

Wie zeigt sich ESLD konkret?

Studien zeigen, dass zentrale Aspekte der Klimakrise – etwa das Tempo der Erderwärmung, das Abschmelzen des arktischen Eises oder das Risiko eines Zusammenbruchs des Westantarktischen Eisschilds – in wissenschaftlichen Berichten, insbesondere in den IPCC-Berichten, häufig zu konservativ eingeschätzt wurden. Die tatsächlichen Entwicklungen verlaufen oft schneller und heftiger als prognostiziert.

Welche Folgen hat diese Vorsicht?

  • Unterschätzung der Risiken: Wenn die dramatischeren, aber realistischen Szenarien nicht ausreichend kommuniziert werden, unterschätzen Politik und Öffentlichkeit die tatsächlichen Gefahren der Klimakrise.
  • Fehlende Vorbereitung: Konservative Prognosen führen dazu, dass Gesellschaft und Politik nicht ausreichend auf die schlimmsten – aber möglichen – Entwicklungen vorbereitet sind. Das kann im Ernstfall katastrophale Folgen haben.
  • Gefahr für die Demokratie: Wenn wissenschaftliche Kommunikation Risiken systematisch herunterspielt, kann das das Vertrauen in Wissenschaft und Politik untergraben, sobald die Realität die Prognosen überholt.

„In dem Bemühen, Dramen zu vermeiden, verzerrt die wissenschaftliche Gemeinschaft möglicherweise ihre eigene Arbeit – eine Voreingenommenheit, die anerkannt werden muss, weil sie die vollständige Anerkennung, Artikulation und Anerkennung dramatischer Naturphänomene verhindern könnte, die tatsächlich auftreten können.“ – Brysse et al., 2013

Was bedeutet das für die Klimakommunikation?

Gerade in der lokalen Klimakommunikation ist es wichtig, die Bandbreite möglicher Entwicklungen ehrlich und transparent zu vermitteln. Das bedeutet nicht, Panik zu verbreiten, sondern die Risiken realistisch einzuschätzen und auch über die „unbequemen Wahrheiten“ zu sprechen. Nur so können Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft die richtigen Entscheidungen treffen und sich auf die Herausforderungen vorbereiten.

Fazit: Weniger Drama ist nicht immer besser

Die Klimakrise ist eine reale, existenzielle Bedrohung. Vorsicht in der Kommunikation ist grundsätzlich sinnvoll – aber zu viel Zurückhaltung kann gefährlich werden. Es braucht eine ehrliche, wissenschaftsbasierte und mutige Kommunikation, die auch die dramatischen, aber möglichen Entwicklungen nicht verschweigt. Nur dann können wir als Gesellschaft angemessen reagieren und uns entsprechend vorbereiten.

Quellen:

  • https://digitalcommons.csbsju.edu/sociology_pubs/25/
  • https://skepticalscience.com/climate-scientists-esld.html
  • https://collaborate.princeton.edu/en/publications/climate-change-prediction-erring-on-the-side-of-least-drama
  • https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0959378012001215
  • https://www.preventionweb.net/publication/what-lies-beneath-understatement-existential-climate-risk
  • https://ui.adsabs.harvard.edu/abs/2023EGUGA..25.9424H/abstract
  • https://www.periodicos.capes.gov.br/index.php/acervo/buscador.html?task=detalhes&id=W1979746235
  • https://www.periodicos.capes.gov.br/index.php/acervo/buscador.html?task=detalhes&id=W1979746235

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