Krisenstimmen: In dieser Rubrik ist Platz für eine andere Art der Annäherung an die Klimakrise, die Klimakatastrophe, den Klimakollaps. Keine wissenschaftlichen Artikel, keine Energiespartipps – hier wird der Frage nachgegangen, wie es uns eigentlich mit der Krisenstimmung geht. Und das in Form von Texten, die einmal eher erzählerisch, einmal eher nachdenklich oder ganz poetisch daherkommen können. Immer auf der Suche nach dem, was zwischen den Zeilen steht.
Eben noch habe ich die zwei Coffee to go zielstrebig bestellt, zwei große Cappuccini zum Mitnehmen bitte, habe mich gefreut auf sämigen Milchschaum an den Lippen und das warme, beinahe zu heiße Gefühl an den Händen. Jetzt stehe ich am Bahnsteig, die Pappbecher ein Hindernis, das ich vor mir her balanciere, und komme mir lächerlich vor. Es ist eine Tradition zwischen Lisa und mir, dieses Kaffeetrinken im Gehen, wie bei den Gilmore Girls, jahrelang gepflegt bei unseren seltenen Treffen, auf die ich immer noch hinfiebere, wohltuende Symbiosen auf Zeit. Jedes Mal wieder haben wir einander gefragt, ob wir schon zu erwachsen dafür sind, einer Fernsehserie nachzueifern, ob wir das überhaupt sind, erwachsen, und nie war die Antwort eindeutig. Immer ist sie am Ende zugunsten des Kaffees ausgefallen.
Ich habe noch keinen Schluck genommen und dennoch ist da ein fahler Geschmack auf meiner Zunge. Es fühlt sich nach Klammern an, das Halten der Becher, während ich auf Lisas Ankunft warte. Als würde ich mich weigern, etwas loszulassen, das der Vergangenheit angehört.
Natürlich weiß ich, dass die Becher mit Plastik beschichtet sind, dass es in jedem Fall verschwenderisch ist, für fünfzehn Minuten Kaffeegenuss einen Pappbecher zu produzieren, transportieren und zu entsorgen;
natürlich weiß ich, dass ich den Kaffee viel billiger von zu Hause in einer Thermoskanne hätte mitbringen können;
natürlich finde ich es letztlich kindisch, dass wir an diesem Ritual festhalten, das aus einer Zeit stammt, in der jeder Kaffee, den wir tranken, noch eine Markierung unseres Erwachsenseins war.
Aber das ist es nicht.

Eine Durchsage am Bahnsteig, Lisas Zug hat Verspätung. Die Becher in meinen Händen werden kühler. Zwei lästige Fremdkörper.
Sie haben ihre Unschuld verloren, denke ich. Und plötzlich fallen mir so viele Dinge ein, die nicht mehr unschuldig sind, nicht mehr ungetrübt. Der erste Schnee, der immer zu spät kommt und von Jahr zu Jahr spärlicher, der erste Badetag, der heuer schon im April war, die großen Träume vom Haus, vom eigenen Garten, vom eigenen Kind. Als wäre da ein Hintergrundrauschen, aus dessen vagem Störgeräusch sich Worte herauslösen, menschengemacht, unumkehrbar, noch nie dagewesen.
Ich stelle die Becher auf die Wartebank neben mir. Es fühlt sich gut an, die Hände mit einem Mal wieder frei zu haben.
Wir sind erwachsen, Lisa, werde ich sagen. Die Welt hat ihre Unschuld verloren.
Und dann werde ich Lisa fragen, wie wir vielleicht doch wieder Unschuldiges schaffen können. Geschichten, die so gut ausgehen wie sie anfangen. Nicht für uns, aber für andere. Damit nach uns noch jemand Kind sein kann.
Text: Leonie Groihofer
Foto: Elisabeth Groihofer
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