Veränderung selbst in die Hand nehmen
Nach einer Phase des Aufschwungs ist das Interesse an Klimagerechtigkeit spätestens seit 2020 zurückgegangen, wodurch die Aussicht auf einen grundlegenden Systemwandel schwindet. Die Klimagerechtigkeitsbewegung in Deutschland hat in den letzten Jahren mit neuen Themen und Aktionsformen darauf reagiert. In diesem Kontext gewinnen Umbruch- bzw. Kollapsstrategien als mögliche Interventionsansätze für die Bewegung zunehmend an Bedeutung. Die engagierte deutsche Initiative Kipppunkt Kollektiv hat dazu in mehreren Workshops mit verschiedenen Aktivist*innen aus der Klimagerechtigkeitsbewegung folgende 46 Theorien von Wandel für die Umbruchphase und danach erarbeitet und in einem Plakat dargestellt.
Plakat: 46 Theorien zum Wandel in der Umbruchphase
Das Plakat kann dabei helfen, individuell oder als Gruppe über Strategien in den Austausch zu kommen. Es bietet eine Übersicht, Struktur und Inspiration für weitere Debatten. Hier kannst du es kostenlos runterladen: https://kipppunkt-kollektiv.de/umbruchstrategien-plakat/ oder auch (gegen eine freie Spende) bestellen. Die Arbeit des Vereins kann auch einfach so finanziell unterstützt werden.
Hinweis: Der folgende Text stammt 1 zu 1 vom Plakat.
Warum brauchen wir neue Strategien?
Weil staatliche Institutionen angesichts der ökologischen und sozialen Herausforderungen zunehmend an Handlungsfähigkeit verlieren werden. Um auf Umbrüche vorbereitet zu sein, müssen eigenständige Strukturen aufgebaut werden, die unabhängig agieren, solidarisch handeln und demokratische Werte stärken.
Diese Strukturen sollen Menschen handlungsfähig machen, in Krisen unterstützen und gleichzeitig in diesen Momenten eine gerechte Gesellschaftsordnung neugestalten können.
Glossar:
- Krise: Eine zeitlich begrenzte nicht-normale, nicht-gewollte, nicht-intendierte und nicht-geplante Ausnahmesituation.
- Kollaps: Ein schneller und erheblicher Rückgang eines etablierten Komplexitätsniveaus. (Tainter, 1988: „The collapse of complex societies“)
- Umbruchphase: Zeitraum, in dem sich etwas irreversibel verändert. Kann, aber muss nicht durch einen Kollaps passieren.
Umbruchstrategien können, müssen aber nicht bedeuten, den Kampf gegen die Verstärkung des Klimawandels aufzugeben. Vielmehr setzen sie einen stärkeren Fokus auf die Folgen des Klimawandels und darauf, diese gerecht zu verteilen.
Resilientere, gerechte und vergesellschaftete Infrastrukturen erkämpfen
Durch die Folgen des Klimawandels müssen sich Infrastrukturen anpassen. Anpassungsmaßnahmen, die von staatlichen Institutionen vorangetrieben werden, sind oft sozial ungerecht. Um der Vision näherzukommen, muss politisch für gerechte Anpassungsmaßnahmen gekämpft werden.
- Anpassungsansätze staatlicher Institutionen kritisch begleiten und darüber eigene Themen setzen:
Z.B. Schwammstadt, resiliente Landwirtschaft, soziale Wärmewende - Die Vergesellschaftung lebenswichtiger Infrastrukturen:
Dem Staat und den Unternehmen wird nicht vertraut, bei Umbrüchen mit den Infrastrukturen im Sinne der Nutzenden umzugehen. Zum Beispiel: Wohnen, Energieversorgung, Medizin, Care-Bereich, Rentensystem. - Für gesellschaftliche Umverteilung von Oben nach Unten kämpfen:
Ärmere Menschen haben weniger Möglichkeiten sich anzupassen. Zum Beispiel: Vermögensteuer, Erbschaftssteuer. - Für Ausgleichszahlungen und andere staatliche Unterstützung bei Klimaschäden kämpfen:
Dass Menschen bei Klimaschäden unterstützt werden ist eine Voraussetzung dafür, dass sie sich selbst auch mit anderen solidarisieren und diese unterstützen können. - Für den Schutz lebenswichtiger Ressourcen kämpfen:
Zum Beispiel Wasser.
Marginalisierung und Faschismus bekämpfen
In Umbruchszeiten wünschen sich Menschen tendenziell bekannte Verhältnisse zurück. Daher muss, um nach einem Umbruch der Vision näher zu kommen, vorher Gerechtigkeit, Solidarität und Diversität im gesellschaftlichen Diskurs verankert werden – auch, um einer zunehmenden Faschisierung entgegenzuwirken.
- Einsatz für ein abgeändertes Schulprogramm, das auf eine Umbruchphase vorbereitet:
Zum Beispiel Politische Bildung, Moral, Emotionale Arbeit, Klima(un)gerechtigkeit - Für Bürger:innenräte kämpfen:
Sie sind ein Mittel zum Erlernen von Demokratie. - Die Abschaffung von Menschenrechten bekämpfen:
Zum Beispiel das Asylrecht, Polizeigesetze. - Antifaschistische Strukturen stärken:
Zum Beispiel Antifagruppen aufbauen/beitreten. - Sich für die Rechte und Gleichstellung marginalisierter Menschen und gegen Desinformation einsetzen:
Zum Beispiel FLINTA, Queers, Geflüchtete, Kinder, Be_hinderte, Obdachlose, …
Mehr globale Solidarität schaffen und darüber kurzfristig so viel globale Umverteilung wie möglich erkämpfen
Wenn es so weitergeht wie bisher, wird der Globale Norden dem Globalen Süden aufgrund des aufsteigenden Nationalismus und innerpolitischer Spannungen immer weniger Ressourcen zur Verfügung stellen. Das ohnehin bereits kleine Möglichkeitsfenster, Klimaschulden zu senken und den Globalen Süden bei der Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen, wird mit der Zeit noch kleiner.
- Internationale Institutionen zur Schuldenstreichung und Streichung benachteiligender Regelungen für Länder des Globalen Südens bringen.
- Auf extraktivistische Rohstoffpolitiken aufmerksam machen und diese politisch bekämpfen.
- Globale/Staatliche Institutionen dazu bringen, mehr finanzielle Ressourcen ohne Gegenleistung für den Globalen Süden bereitzustellen.
Auf materieller Ebene kurzfristig mehr Gerechtigkeit in Deutschland (bzw in deinem Radius) erkämpfen
Durch Verbesserungen auf materieller Ebene wird es möglich, marginalisierte Menschen von klimagerechten Politiken zu überzeugen, sodass sie eher gemeinsam für die Vision kämpfen. Außerdem sind sie durch die Folgen des Klimawandels besonders belastet.
- Soziale Ausgleichsmaßnahmen zu den Kosten für die Treibhausgas-Reduktion erkämpfen:
Zum Beispiel Klimageld, Energiepreisbremse, kostenloser Öffi-Verkehr. - Gegen eine Abschaffung/Aushöhlung sozialer Sicherungssysteme kämpfen:
Zum Beispiel Bürgergeld, Leistungen für Geflüchtete. - Schlecht bezahlte Arbeiter*innen bei Tarifkämpfen unterstützen / Gewerkschaften stärken.
- Nach aktuellen konkreten Problemen ärmerer Menschen suchen und sich für eine Verbesserung dieser einsetzen:
Zum Beispiel auch der Blick auf den ländlichen Raum. - Eine Erhöhung des Mindestlohns und Arbeitszeitverkürzung erkämpfen.
Solidarische Strukturen (weiter) aufbauen, um eine gerechte Gesellschaftsform vorzubereiten
Um nach einem Kollaps der Vision näher zu kommen und solidarisch sowie demokratisch zu handeln, müssen sich Menschen basisdemokratisch organisieren. Dafür benötigen bereits genügend Personen die Erfahrung, solidarische und demokratische Praxen trotz der Auswirkungen des Umbruchs umzusetzen. Auch vor einem Umbruch können diese Strategien zum Bewegungsaufbau beitragen und präventive Arbeit leisten.
- Aufbau von Gruppen, die sich auf spezifische Aufgaben bei Umbrüchen vorbereiten.
Zum Beispiel: Notfallmediziner*innen, Psycholog*innen, Journalist*innen, Frauenärzt*innen (für Abtreibungen). - „Realutopien“ / Commoningstrukturen schaffen/weiterführen, um das Leben alternativer Lebensentwürfe zu lernen.
Das hilft auch, um Erfahrungswissen für die Bewegung zu generieren. Zum Beispiel Kommunen, Häusersyndikate, Kollektivbetriebe, Gemeinsame Ökonomien, Genossenschaften, digitale Commons, Foodsharing. - Aufbau/Weiterführung dezentraler, vernetzter und autonom handlungsfähiger Gruppen am Wohn- oder Arbeitsort (zum Beispiel transformative Zellen) oder in Ehrenamtsstrukturen:
Führt auch zur Etablierung von Gemeinschaften, die sich gegenseitig und anderen in der gesamten Umbruchsphase solidarisch unterstützt und den Alltag im Umbruch erleichtert. - Weiterbildungsangebote für praktisches Wissen anbieten:
Zum Beispiel Erste-Hilfe Training, DIY-Abtreibung, DIY-Hormonersatztherapie, Communityarbeit, Basisdemokratie, Moderation, Küche für alle, Solawis, etc - Sich individuell und kollektiv in verbaler und physischer Selbstverteidigung trainieren:
Es wird davon ausgegangen, dass Gewalt bei Umbrüchen eine Rolle spielen wird (und dass sich die Angriffe von Rechtsextremen auf solidarische Menschen und Orte häufen). - Lokale und dezentrale Klimaanpassungsmaßnahmen von unten durchführen, um die Umgebung resilienter vor Extremwetterereignissen zu machen:
Zum Beispiel Wiedervernässung von Mooren, Pflanzen von Bäumen, Entsiegelung von Böden.
Solidarische Netzwerke aufbauen, um marginalisierte Betroffene in Krisen und beim Wiederaufbau zu unterstützen
In Krisenmomenten – sowohl durch direkte als auch indirekte Klimawandelfolgen – sind marginalisierte Gruppen besonders vulnerabel. Da dies bisher vom Staat ungenügend beachtet wird, braucht es Netzwerke, die schnell und effektiv helfen, sei es durch praktische oder psychologische Unterstützung oder durch Hilfe zur Selbstorganisation.
- Strukturen aufbauen, die Marginalisierte mit ihren Traumata nach Extremwetterereignissen unterstützen:
Es wird davon ausgegangen, dass marginalisierte Menschen weniger Unterstützung von anderen Stellen erhalten. - Strukturen aufbauen, die nach Extremwetterereignissen die Unterstützung Marginalisierter beim Wiederaufbau koordinieren.
Es wird davon ausgegangen, dass marginalisierte Menschen weniger Unterstützung von anderen Stellen erhalten.
Alternative, materielle Infrastrukturen schaffen, um nach einem Kollaps unabhängig und handlungsfähig zu bleiben
Kollapse können zum Verlust von „kritischen Infrastrukturen“ (Energie, Wohnen, IT und Telekommunikation, Wasser, Entsorgung, Logistik, Ernährung, Medien und Gesundheit) führen. Es braucht also den Aufbau von Redundanzen, deren Einsatz demokratisch/bedarfsorientiert und nicht nach Marktlogik bestimmt wird, um in dieser für die Erreichung der Vision kritischen Situation handlungsfähig zu bleiben.
- Lokale (und dadurch von weniger Lieferketten abhängige) Produktion von Lebensmitteln und anderen überlebenswichtigen Gütern:
Zum Beispiel durch Solawis, Urban Farming, Gemeinschaftsgärten. - Schaffung von autarken internen und externen Kommunikationskanälen:
Darunter fällt die Stärkung von sicherer Kommunikationsinfrastruktur (zB verschlüsselten Messengern). - Aufbau autarker Energieinfrastruktur für ausgewählte Orte:
Eine Voraussetzung dafür, dass die Handlungsfähigkeit kritischer Orte weiter aufrecht erhalten wird. - Aufbau von sicheren Räumen vor Extremwetterereignissen:
Zum Beispiel Kälteräume für heiße Tage oder Notfallunterkünfte für Überschwemmungen. Darunter fällt: Wohnprojekte vernetzen. - Dezentrale Lagerung von Grundnahrungsmitteln, Wasser, Medikamenten, medizinischem Equipment und Brennstoffen zur solidarischen Verteilung:
Darunter auch die Pille danach und Saatgut.
Quelle:
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