Der Seneca-Effekt

Wie Systeme kollabieren und wie wir damit umgehen können

Der Seneca-Effekt beschreibt, dass komplexe Systeme langsam wachsen, aber abrupt kollabieren – eine Dynamik, die Zivilisations- und Klimakrisen besonders anfällig für plötzliche Kipppunkte macht. Der Begriff geht auf den italienischen Chemiker, Systemforscher und Club of Rome-Mitglied Ugo Bardi zurück, der darüber 2017 ein Buch veröffentlicht hat: Ugo Bardi, Der Seneca Effekt. Warum Systeme kollabieren und wie wir damit umgehen können

Er bezieht sich auf den römischen Philosophen Seneca und dessen Zitat „Zuwachs ist langsamen Schritts, doch der Weg zum Untergang rasch“, den Bardi in Systemmodellen von Ressourcen, Verschmutzung und Wirtschaftsdynamik anwendet. Seneca erkannte bereits vor 2000 Jahren, dass Niedergang selten symmetrisch zum Aufbau verläuft. Bardi hat diese Erkenntnis aufgegriffen und zeigt anhand von Daten und Modellen, dass diese Asymmetrie zwischen Aufbau und Zusammenbruch für alle Systeme universell ist, von Naturprozessen bis hin zur Zivilisation, auch der unsrigen Industriellen Zivilisation.

„Zusammenbrüche finden einfach statt und in manchen Situationen kann es hilfreich sein, sie zu befördern oder zuzulassen. Der gesteuerte Zusammenbruch einer überholten Struktur kann den Wandel erleichtern, der ohnehin unvermeidbar ist.“

Was ist der Seneca-Effekt?

Der Seneca-Effekt beschreibt eine Asymmetrie zwischen Aufbau und Zusammenbruch eines Systems.

  • Der Aufbau und das Wachstum eines Systems dauert lang,
  • doch sein Zusammenbruch erfolgt oft abrupt, wenn bestimmte Schwellen überschritten sind.

Systeme wirken lange stabil, obwohl sie sich schon dem kritischen Punkt nähern. Dann reicht ein kleiner Auslöser – eine Dürre, ein Preisschock, ein Finanzbeben – und das System stürzt unvermittelt ab. Bardi nennt diese Fallkurve auch „Seneca-Klippe“ und veranschaulicht dies mit vielen Beispielen:

  • Der Einsturz einer Brücke
  • Das Aussterben von Tierpopulationen
  • Der Kollaps von Imperien oder Volkswirtschaften
  • Finanzkrisen
  • Ökologische Kipppunkte

Allen gemeinsam sind positive Rückkopplungen, die im Kollapsfall plötzlich stark werden und den Niedergang beschleunigen. Zum Beispiel:

  • Artensterben => weniger Bestäubung => Ernteausfälle => noch mehr Artensterben
  • Ressourcenerschöpfung => steigende Kosten => wirtschaftliche Instabilität => noch schnellere Ressourcenübernutzung
  • Klimaerwärmung => Abschmelzen von Eisflächen => noch mehr Erwärmung durch fehlenden Albedo-Effekt
  • Klimaerwärmung => Auftauen von Permafrost (Methanfreisetzung) => noch mehr Erwärmung
  • usw

Diese Kipppunkte passen perfekt in Bardis Rahmenanalyse: Ein System hält lange durch, wirkt stabil – und kann dann innerhalb kurzer Zeit entgleiten.

Wie können wir den Kollaps verhindern oder abmildern?

Der gegenwärtige Zusammenbruch hat vielfältige Ursachen, sowohl physikalische als auch soziale. Er lässt sich nicht mehr zur Gänze verhindern, sehr wohl aber abmildern und gestalten, damit er eben nicht plötzlich und brutal wird. Dafür fehlt allerdings aktuell und auch historisch das Bewusstsein: Das Weströmische Reich ging zum Beispiel unter, während die Kaiser noch immer davon überzeugt waren, dass „Rom ewig ist“.

1. Lokale Resilienz aufbauen bzw stärken

Systeme robuster gestalten, statt sie effizient bis zum Anschlag auszureizen. Beispiele:

  • Regionalisierung von Versorgung aller Art (Lebensmittel, Wasser, Gegenstände, …)
  • Diversifizierung (von erneuerbaren Energiequellen bis zu Ökosystemen)
  • Puffersysteme und Vorräte
  • Gemeinschaften aufbauen (solidarische Netzwerke, Nachbarschaftshilfe, Wissensaustausch, …)
  • Fähigkeiten für eine instabile Zukunft (Reparaturfähigkeiten, Gartenbau, Energieeffizienz, Krisenvorsorge, Selbstversorgung, …)

2. Komplexität reduzieren

Weniger kritische Abhängigkeiten, weniger „just in time“, weniger Monokulturen – sowohl in der Landwirtschaft als auch wirtschaftlich.

3. Nachhaltige Nutzung statt Übernutzung

Mit Ressourcen so umgehen, dass keine zerstörerischen Rückkopplungen entstehen (Überfischung, Bodenzerstörung, fossile Verbrennung).

4. Politische Transformation

  • Postwachstumsökonomie
  • Klimaschutz und Emissionsreduktion
  • Stärkung demokratischer Institutionen

5. Bewusster Übergang statt abruptem Kollaps

Der wohl wichtigste Punkt: Wir können einen Seneca-Kollaps abfedern, indem wir bewusst Schrumpfungsprozesse gestalten – etwa:

  • Energieverbrauch senken
  • Kreislaufwirtschaft etablieren
  • Infrastruktur klimafit machen
  • Sozialpolitische Maßnahmen für faire Transformation

Bardi nennt das auch die „Seneca-Effekt-Umkehrung“: langsamer Rückgang statt abrupter Katastrophe.

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Quellen:

  • Buch Ugo Bardi, Der Seneca Effekt. Warum Systeme kollabieren und wie wir damit umgehen können (2017)
  • 21.11.2025: Interview mit Ugo Bardi: https://senecaeffect.substack.com/p/civilization-collapse-a-seneca-cliff
  • https://en.wikipedia.org/wiki/Seneca_effect
  • 29.03.2018: https://www.resilience.org/stories/2018-03-29/slow-growth-rapid-ruin-the-seneca-collapse-of-our-society/
  • 13.01.2018: https://www.deutschlandfunkkultur.de/ugo-bardi-der-seneca-effekt-warum-systeme-kollabieren-wie-100.html
  • 13.10.2018: Der Seneca-Effekt. Warum Systeme kollabieren und wie wir damit umgehen können. https://www.saurugg.net/2018/blog/vernetzung-und-komplexitaet/der-seneca-effekt

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