Wo die Sommerfrische ihrem Namen Ehre macht
Wir freuen uns sehr über den Gastartikel von Daniela Müller, freie Journalistin und Buchautorin über ihre heurige Familien-Zugreise nach Wales
Statt sich mit dem Auto in den heißen Süden zu stauen, flitzten wir in Schnellzügen mit über 300 km/h in den Regen Großbritanniens. Warum? Weil es Spaß macht!
Zugegeben: Das mit dem Zugfahren ist uns passiert. Vor eineinhalb Jahren buchten wir eine Nightjetreise nach Paris. Ankommen am Morgen in einer wunderbaren Stadt, sofort eintauchen, die Zeit dort bis zum letzten Abend genießen und dann: ab ins Zugbett. Es folgte eine Nachtzugfahrt nach Rom und ein Wanderurlaub in die Cinque Terre. Mit dem Blick aus dem Zugfenster auf die schnittigen Schnellzüge in Frankreich und Italien kam dann der Wunsch nach einer stärkeren Dosis: Mit so etwas wollen wir auch fahren! Als Ziele für den diesjährigen Sommerurlaub hatten wir Länder im Kopf, in denen Bahnfahren mehr ist als nur eine unliebsame Alternative zum motorisierten Individualverkehr.
Es wurde Wales.
Auf den insgesamt neun Teilstrecken unseres Urlaubes durften wir in das europäische Zuguniversum blicken. Und das teilte sich recht klar ein in: dort über 300 km/h Fahrgeschwindigkeit, Pünktlichkeit, erstklassiger Service und da – also in Deutschland und Österreich – Verspätungen und gefühlte 80 km/h Höchstgeschwindigkeit auf der Strecke Salzburg – Graz mit Blick auf die Bahngleise beim Spülen der Toilette. Der Begeisterung für das Zugfahren ging freilich ein anderer Aspekt voraus: der Klimaschutz.
Unser Entschluss, 2023 als Jahr des nachhaltigen Reisens zu definieren, kam im Jänner.
Auch in unserem Haushalt handelt es sich dabei um eine Zeit im Jahr, in der sich die täglichen Nachrichten und die Trübheit des Wetters noch mehr aufs Gemüt schlagen als sonst. Für eine Tageszeitung recherchierte ich gerade einen Beitrag zum Thema Klimaschutz, es fühlte sich an, als sei in den vergangenen 15 Jahren, in denen ich mich mit dem Thema beschäftige, nichts weitergegangen, im Gegenteil. Statt Stillstand gibt es Rückschritt, während bei der letzten Nationalratswahl die Grünen Wählerstimmen auch deshalb gewinnen konnten, weil ihnen der Klimaschutz wichtig war, spaltet das Thema nun offenbar die Gesellschaft.
Die Konservativen halten an ihrem unverrückbaren Weiter-so fest, die Grünen in ihrer „Geiselhaft“, und die selbsternannte Partei des Kleinen Mannes hat es geschafft, was schon Donald Trump so traurig gut gelungen ist: Menschen mit ihrem Das-wird-man-doch-noch-sagen-dürfen auf ihre Seite zu ziehen. Nötige Einschränkungen zugunsten des Klimas werden zum Schlachtruf pro Freiheit, der Ruf nach Geschwindigkeitsbeschränkungen auf Autobahnen wird von manchen Benzinbrüdern, so hat man den Eindruck, als Entmannung gesehen, die Sorge um Energieengpässe mit dem einhergehenden Aufruf, Zimmertemperaturen zu senken, um Gas zu sparen, gilt als Bevormundung. Es scheint, als dürfe im öffentlichen Leben nichts mehr geregelt werden, weil jeder und jede schon selbst entscheiden sollen dürfen, wie sie leben möchten. Wir waren im Jänner auch frustriert und beschlossen, unser Ding anders zu machen. Für den Sommerurlaub nicht ins Flugzeug zu steigen, sondern in den Zug.
Es gibt ja das schöne Sprichwort, dass beim Reisen die Seele mitkommen muss.
Das tut sie beim Bahnfahren, auch wenn die Geschwindigkeit jenseits der 300 km/h liegt. Im Zug sitzen, das bedeutet für uns, nicht im Reiseverkehr eingespannt zu sein, nicht auf den Straßen aufmerksam sein zu müssen, sondern Zeit zum Lesen, Hörbuchhören und Kartenspielen zu haben. Unsere Reise war genau das: entspannt. Unsere erste Etappe führte uns von Graz nach Stuttgart, mit uns im Abteil ein junges Paar aus der Obersteiermark auf dem Weg in die Flitterwochen. Wir wissen nun über Zuchthühner Bescheid und wie es sich anfühlt, nach der Pandemie als Lehrerin und Lehrer zu arbeiten. Nach gut acht Stunden Fahrtzeit stiegen wir kurz vor Stuttgart um, erwartungsgemäß traf uns in der bahntechnischen Sollbruchstelle Deutschland eine Verspätung, die uns 30 Minuten später ans Ziel brachte.
Am nächsten Tag die große Tour: Mit dem TGV nach Paris, von dort mit dem Eurostar unter dem Ärmelkanal nach London. Das war’s dann schon mit der großen Anreise, die um 9.30 Uhr in Deutschland begann und pünktlich um 17 Uhr am wunderschönen Bahnhof St. Pancras endete. Der Planung voraus ging der Gedanke, die Reise so zu gestalten, dass wir des Zugfahrens nicht überdrüssig werden. So gab es einen dreitägigen Zwischenstopp in London, bevor es mit dem Zug nach Liverpool weiterging, wo ein Leihwagen auf uns wartete.
Hier höre ich schon die ersten Einwände
Und ja: Klar wäre der Urlaub richtig nachhaltig erst, würde die gesamte Reise mit dem Zug stattfinden. Damit sind wir mitten im Thema: Wo fängt Klimaschutz an und wann habe ich genug getan? Nachhaltigkeit bedeutet mehr als nur mit Öffis zu fahren, sondern auch zu hinterfragen, was man isst, konsumiert und wie man sich im gesellschaftlichen Miteinander verhält. In puncto CO2-Einsparung ist jede Bemühung ein guter Anfang, auch wenn man als Einzelperson das Problem nicht lösen kann.
Für mich als Mutter zählt noch etwas: Wenn wir das Ruder nicht herumreißen und die Permafrostböden schneller auftauen als ursprünglich prognostiziert, wird mein Sohn um die 50 sein. Er wird es noch erleben, dass weite Teile der Welt unbewohnbar sein werden, entweder weil überschwemmt oder weil dort nur mehr Ödnis ist, was wiederum die Migration beschleunigt, die wir jetzt schon nicht im Griff haben. Es ist offenbar so ein Mutter-Thema, das Kind beschützen zu wollen, auch wenn es aussichtslos ist, dass es gelingt. Wenn ich aber in Schwermut verfalle, bringt das noch weniger.
In Wales, unserem eigentlichen Reiseziel, hatten wir viel Zeit, um über das Klima nachzudenken.
Und – wie es die Briten gern tun – darüber zu reden. Wir hätten einen fürchterlichen Juli erwischt, attestierte man uns mitleidig mit dem Hinweis, dass ohnehin nur die Engländer wetterfest genug seien, um in Wales Urlaub zu machen. Tatsächlich bewegten sich die Temperaturen zwischen bescheidenen 15 bis 18 Grad, wir hatten sozusagen die Wahl zwischen Regen oder Wind, der die Wolken wegschob und die Sonnenstrahlen zumindest kurz die wunderbare Landschaft in sattes Grün tauchten.
Es tat sich eine unbeschreibliche Fülle auf: Die Wildheit der Irischen See, der salzige Geruch des Wassers, bis zum Horizont die Weite der geschwungenen, schroffen und herrlichen Küstenpfade und ihre einsamen Strände. Unsere Reise entwickelte sich in dieser Hinsicht zu etwas ganz Besonderem: Während Urlaub in sonnigen Gefilden meist Schönwettergarantie bedeutet, waren wir hier dem unbeständigen Wetter einfach ausgesetzt – wie dem Zugfahrplan in Deutschland. Der Wind bläst um die Ohren, der Regen macht die Brillengläser blind. Doch genau das ist die Natur, die wir schützen wollen!
Was ich mir von unserer Reise mitgenommen habe?
Viele schöne Fotos, einen Papageientaucher aus Holz, der mich vor allem im Jänner daran erinnern soll, dass der Lauf der Natur ist, wie er ist (und der Jänner unschwer aus dem Kalender gestrichen werden kann), dass zwei wunderbare Städte wie London und Paris in einem Urlaub Platz haben und die Entschleunigung, die eine Zugreise mit sich bringen kann. Wenn man den Anschlusszug nicht versäumt hat.
Planungstipps:
Bei der Planung begann ich mit der An- und Heimreise, hier empfiehlt sich die App „Trainline“. Die Bahnverbindungen in Wales sind zwar nicht schlecht (für Eisenbahnfans ein Muss sind die reizenden historischen Bahnen dort!), aber in Nationalparks gelangt man nicht oder nur schwer, weshalb wir uns für einen Mietwagen entschieden haben. Beim Buchen der Zugverbindungen gilt: Je früher, desto günstiger. So hat uns die im Jänner gebuchte Fahrt mit dem TGV nach Paris in der ersten Klasse (3 Personen) nur 136 Euro gekostet, das Ticket für die im Mai gebuchte Rückreise machte hingegen 197 Euro aus, in der 2. Klasse.
Dort, wo es mir aufgrund der Empfehlungen in Reiseführern oder nach Internetrecherche am besten gefiel, suchte ich nach Quartieren. Bei booking.com oder Airbnb empfiehlt es sich, für besondere Unterkünfte als Kriterium „nachhaltige Quartiere“ einzugeben. In Wales buchte ich drei Unterkünfte, direkt am Meer, im Niemandsland in einer umgebauten Scheune und eine Ferienwohnung in einem abgelegenen Weiler aus Steinhäusern im Nationalpark Brecon Beacons. Zudem recherchierte ich vor Ort bzw. in der Nähe Freizeitaktivitäten, um die Fahrtkilometer in Grenzen zu halten.
Dazugelernt habe ich auch: Bei Zugfahrten mit Anschlüssen genügend Zeit zum Umsteigen einberechnen. Die zuvor genannte App „Trainline“ setzt diese zu kurz an, wir haben deshalb bei der Heimreise einen Anschlusszug verpasst. Eine Stunde zum Umsteigen sollte man schon vorsehen, das erspart Stress und Sorgen. Sollte es für den Mietwagen eine Abholstation in Bahnhofsnähe geben, diese nehmen. Die meisten sind am Flughafen, die sind mit Öffis nicht immer optimal erschlossen, die Hin- und Abreise frisst viel Zeit.
Insgesamt kosteten die Zugfahrten von Graz bis Liverpool und von Bristol nach Graz etwas über tausend Euro, wären diese Strecke geflogen, wären wir auf rund 1500 Euro gekommen.
Text und Fotos: © Daniela Müller
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Danke für diesen stimmungsvollen und spannenden Artikel!