Wie haben die Menschen früher schwere Zeiten überstanden?
Victory Gardens waren während beider Weltkriege breit angelegte Selbstversorgergärten, die Millionen Menschen motivierten, Gemüse, Obst und Kräuter in Hinterhöfen, Parks, auf Dächern und Brachflächen anzubauen. Ziel war, Rationierung und Versorgungsengpässe abzufedern und zugleich die Landwirtschaft für den Kriegseinsatz zu entlasten. Heute erlebt die Idee unter dem Begriff „Climate Victory Gardens“ bzw. Urban Gardening eine Renaissance: Regenerative Anbaumethoden, lokale Kreisläufe und gemeinschaftlich organisierte Flächen verbinden Klimaschutz mit sozialer Resilienz – vom Fensterbrett über den Balkon und Gemeinschaftsgarten bis zur kommunalen Ernährungsstrategie.
Was Victory Gardens historisch ausmachten
Bereits im Ersten Weltkrieg entstanden in Nordamerika und Europa millionenfach sogenannte „War Gardens“, als Regierungen und zivilgesellschaftliche Organisationen die Bevölkerung zur Nutzung jedes verfügbaren Fleckchens Erde aufriefen – vom Reihenhausgarten bis zum Dach – um den drastischen Ernterückgang und den Arbeitskräftemangel in der Landwirtschaft zu kompensieren. In den USA koordinierte die 1917 gegründete National War Garden Commission Kampagnen, Lehrmaterial und Saatgut, während in Kanada und Großbritannien Schulen, Frauenvereine und Kommunen massenhaft Anbauwissen verbreiteten und sogar Hühnerhaltung im Garten empfahlen, um Eiweißlücken zu schließen. Diese Logik wurde im Zweiten Weltkrieg systematisch ausgebaut. Das US-Landwirtschaftsministerium schuf nach Pearl Harbor eine landesweite Kampagne mit Vereinen, Saatgutbetrieben, Jugendgruppen und Medien, um Anbau-Anfängerinnen und -Anfänger anzuleiten und Ressourcen gezielt zu steuern.

Dimension, Orte und Alltagskultur – Gemeinschaftsgärten
Die Dimension war beeindruckend. Zeitgenössische Angaben nennen in den USA fünf Millionen Gärten zum Ende des Ersten Weltkriegs und 15 bis 20 Millionen Victory Gardens in den Jahren 1942 bis 1944. Sie lieferten einen substanziellen Anteil des Frischgemüses und entlasteten das Rationierungssystem. Angebaut wurde überall dort, wo Erde zugänglich war: Hausgärten, städtische Parks, Brachflächen, Dachflächen, sogar Fensterkästen. Dabei entstanden auch Gemeinschaftsgärten, die nicht nur Beete, sondern soziale Räume boten, in denen Nachrichten, Rezepte und Anbautipps zirkulierten. Ein besonders nachhaltiges Beispiel ist der Fenway Victory Garden in Boston, der trotz späterer Bebauungspläne zivilgesellschaftlich erhalten blieb und heute über 500 Parzellen umfasst – ein Vorbild für langfristig gesicherte, gemeinschaftlich organisierte Anbauflächen.
„1942 legten rund 15 Millionen Familien Gemüsegärten an; bis 1944 produzierten schätzungsweise 20 Millionen dieser Gärten etwa 8 Millionen Tonnen Lebensmittel – das entsprach mehr als 40 Prozent des gesamten in den Vereinigten Staaten konsumierten frischen Obstes und Gemüses.“
Europäische Parallele: Kleingärten als Infrastruktur
In Mitteleuropa wuchs parallel die Kleingartenbewegung aus gesundheits- und sozialreformerischen Ideen des 19. Jahrhunderts. Sie ermöglichte Arbeiterfamilien Erholung, Naturkontakt und Eigenanbau und hat sich bis heute als städtische Infrastruktur mit Parzellen, Vereinsstrukturen und klaren Rechtsrahmen erhalten. Städte wie Wien dokumentieren diese Geschichte in ihren Stadtwikis und Verbandsarchiven – ein organisatorisches Fundament, auf das sich moderne, klimabezogene Neuauflagen von „Victory“-Programmen stützen können.
Warum das heute wieder wichtig ist
Unsere Gegenwart ist von multiplen Risiken geprägt: Klimakrise, Bodenerosion, Extremwetter, fragile Lieferketten und soziale Polarisierung lassen Gemeinden nach dezentralen, robusten Lösungen suchen. Urbane Landwirtschaft bietet hier nicht nur eine lokale Ernährungskomponente, sondern auch Hitzeminderung, Regenwasserrückhalt, Biodiversitätsförderung, Luftreinigung und vieles mehr. „Climate Victory Gardens“ bündeln diese Wirkungen, indem sie auf humusaufbauende, chemiearme Methoden setzen. Kompostierung, dauerhafte Bodenbedeckung, Mischkulturen, Zwischenfrüchte und Heckenstrukturen binden Kohlenstoff, stärken das Bodenleben und reduzieren Input- sowie Transportemissionen. Ebenso bedeutsam ist der soziale Aspekt: Gemeinschaftsgärten schaffen Lernorte, stärken Nachbarschaften, vermitteln Anbau‑ und Verarbeitungskompetenzen und eröffnen Mikroerwerbspfade – Fähigkeiten, die in Krisenzeiten überproportional wertvoll sind. Darum: Her mit lokaler nachhaltiger Landwirtschaft, mit mehr Selbstversorgung und mit dem Erlernen nützlicher Fähigkeiten!
Lehren aus der Geschichte für eine klimataugliche Umsetzung
Aus den 1940er‑Jahren lässt sich lernen, dass klare, niedrigschwellige Programme mit breiten Allianzen – Gemeinden, Schulen, Vereine, Medien, Saatgutbetriebe – die Lernkurve verkürzen und Streuverluste vermeiden, die bei ungelenkter Massenbegeisterung auftreten können. Öffentliche Sichtbarkeit und symbolische Führung („vom Rathausgarten bis zur Schulparzelle“) senken Einstiegshürden und normalisieren Engagement. Historische Poster und prominente Vorbilder erfüllten diese Funktion, ohne die Vielfalt der Motive zu schmälern – Umfragen zeigten, dass wirtschaftliche Gründe oft noch vor Patriotismus standen. Entscheidend bleibt allerdings vor allem die dauerhafte Flächensicherung.
Rolle im Szenario eines drohenden Klimakollapses
In einem Verschärfungsszenario (Zusammenbruch der Lieferkette, Nahrungsmittelrückgang, etc) sind Victory‑ähnliche Gärten kein Allheilmittel, aber wirksame Puffer. Sie liefern frische Kalorien und Mikronährstoffe, reduzieren Abhängigkeiten von langen Lieferketten, fördern Saatgut‑ und Verarbeitungskompetenz vor Ort und stärken psychische Resilienz durch sinnstiftende Tätigkeit im Kollektiv. Städte können Flächen aktivieren, die bisher ungenutzt sind: Dächer, Schulhöfe, Brachflächen, Zwischennutzungen und bestehende Kleingartenareale. Europäische Analysen empfehlen, urbane Landwirtschaft strategisch in Klima‑, Grün‑ und Ernährungspläne zu integrieren und deren ökologische und soziale Wirkungen zu evaluieren. Parallel braucht es Wissensinfrastruktur und Commons: Saatgutbibliotheken, Werkzeugpools, Kompost‑Hubs, Mikro‑Förderungen und wiederkehrende Saisontrainings.
Grenzen bleiben: Stadtfläche, Saisonlängen und Nährstoffkreisläufe setzen Obergrenzen, eine vollständige urbane Selbstversorgung ist unrealistisch – dennoch erhöhen dezentrale Gärten die Widerstandskraft eines Systems, das heute auf wenige, krisenanfällige und verletzliche Knoten konzentriert ist. Zukunftsfähig wird das Modell in Kombination: Bodengebundene Gärten plus ausgewählte, energieeffiziente kontrollierte Umweltlandwirtschaft (etwa modulare Gewächshaus‑ oder vertikale Systeme für Blattgemüse und Jungpflanzen) erweitern Palette und Erträge in Stressphasen.
Quellen:
- https://en.wikipedia.org/wiki/Victory_garden
- https://garvillo.com/de/was-ist-ein-siegesgarten/
- https://www.nationalww2museum.org/war/articles/victory-gardens-world-war-ii
- https://www.postharvest.com/blog/can-climate-victory-gardens-help-solve-the-climate-crisis
- https://greenamerica.org/climate-victory-gardens
- https://www.nps.gov/articles/000/victory-gardens-on-the-world-war-ii-home-front.htm
- https://de.modernagriculturefarm.com/pflanzen/1009016058.html
- https://www.nationalww2museum.org/war/articles/victory-gardens-world-war-ii
- https://completegardening.com/wwii-victory-gardens-from-the-1940s-how-people-planted-them-and-how-you-can-grow-your-own-even-now/
- https://climateresilienceproject.org/strategies/urban-farming/
- https://homegardenseedassociation.com/historic-victory-gardens
- https://library.si.edu/exhibition/cultivating-americas-gardens/gardening-for-the-common-good
- https://www.kleingaertner.at/zentralverband/geschichte
- https://www.mountainmamahomestead.com/blog/the-history-of-victory-gardens/
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