Michael Dowd & Post-Doom-Mentalität

Jenseits von Hoffnung und Verzweiflung

Michael Dowd war einer der einflussreichsten Denker im Bereich Ökotheologie und Nachhaltigkeit, der mit seinem Konzept der Post-Doom-Mentalität eine neue Perspektive auf den Umgang mit der ökologischen Krise geprägt hat. In einer Zeit, in der Klimawandel, Artensterben und gesellschaftlicher Kollaps nicht mehr nur als Risiken, sondern als laufende Prozesse wahrgenommen werden, bietet Dowds Ansatz einen ungewöhnlichen, aber dringend benötigten Weg, mit diesen Realitäten umzugehen. Es geht darum, der Wahrheit ins Auge zu sehen und sich trotzdem dafür zu entscheiden, sich zu kümmern.

Wer war Michael Dowd?

Dowd, geboren 1958 und 2023 verstorben, war ein amerikanischer Theologe, Bestsellerautor und Nachhaltigkeitsaktivist. Er verband naturwissenschaftliche Erkenntnisse mit spirituellen und ethischen Fragen und wurde als „ökologischer Theologe“ bekannt. Besonders mit seinem Buch Thank God for Evolution und zahlreichen Vorträgen, unter anderem bei den Vereinten Nationen und auf TEDx-Bühnen, erreichte er ein breites Publikum. Seit 2014 engagierte er sich verstärkt in der Klimabewegung und entwickelte seine Theologie weiter zu einer radikalen Ehrlichkeit gegenüber den planetaren Grenzen und dem, was er „Grace Limits“ – Gnaden-Grenzen der Erde – nannte.

Was bedeutet Post-Doom?

Der Begriff Post-Doom wurde 2019 von Michael Dowd geprägt. Er beschreibt einen Bewusstseinszustand, der über die klassischen fünf Phasen der Trauer (Leugnen, Wut, Verhandeln, Depression, Akzeptanz) hinausgeht. Während viele Menschen angesichts der ökologischen Krise bei der Akzeptanz der drohenden Katastrophe stehenbleiben, fragt Dowd: „Ist Doom wirklich das Endstadium?“

Post-Doom meint: Nach dem Durchschreiten von Trauer und Verzweiflung öffnet sich ein Raum für eine neue Art von Klarheit, Gelassenheit und mutiger Liebe zum Leben. Es ist ein Zustand, in dem man die Realität des ökologischen und gesellschaftlichen Kollapses nicht mehr verdrängt, sondern sie als Ausgangspunkt für ein sinnvolles, prozukunftsorientiertes Handeln annimmt.

„Post-doom ist das, was sich öffnet, wenn wir uns erinnern, wer wir sind, das Unvermeidliche akzeptieren, unsere Trauer ehren und das priorisieren, was pro-future und seelennährend ist.“
– Michael Dowd

Die Kernelemente der Post-Doom-Mentalität

  • Radikale Akzeptanz: Anerkennung, dass viele ökologische Kipppunkte überschritten sind und ein Kollaps wahrscheinlich oder sogar unvermeidlich ist.
  • Trauerarbeit: Bewusstes Durchleben von Schmerz, Angst und Verlust, ohne in Lähmung oder Zynismus zu verfallen.
  • Neuausrichtung auf das Wesentliche: Statt auf große Systemveränderungen zu hoffen, rückt das Hier und Jetzt, das lokale Handeln und zwischenmenschliche Fürsorge in den Mittelpunkt.
  • Handeln ohne Hoffnung: Post-Doom ist „hoffnungsfrei“, aber nicht nihilistisch. Es geht um mutiges, liebevolles Handeln – nicht, weil es garantiert Erfolg bringt, sondern weil es das Richtige ist.
  • Spirituelle Tiefe: Viele erleben durch die Post-Doom-Haltung eine neue spirituelle Lebendigkeit, die sowohl die Tragödie als auch die Schönheit der Welt umfasst.

Praktische Auswirkungen: Leben und Handeln nach dem Doom

Dowd betonte, dass Post-Doom keine Einladung zur Passivität ist. Im Gegenteil: Wer die Realität annimmt, kann sich von Illusionen befreien und mit klarem Blick das tun, was im eigenen Einflussbereich liegt – sei es im lokalen Engagement, in der Pflege von Beziehungen oder in der Unterstützung von Mitmenschen in schwierigen Zeiten. Die Dringlichkeit bleibt, aber sie ist nicht mehr von Panik oder blindem Aktivismus getrieben, sondern von einer ruhigen, mitfühlenden Haltung.

Resonanz und Weiterentwicklung

Dowds Post-Doom-Konzept hat zahlreiche Denker*innen inspiriert, darunter Shaun Chamberlin, Paul Ehrlich, Meg Wheatley und Jem Bendell (Deep Adaptation). In zahlreichen Gesprächen, Videos und Artikeln hat Dowd die Post-Doom-Community mit Leben gefüllt und einen Raum geschaffen, in dem Menschen offen über Angst, Trauer und neue Lebensperspektiven sprechen können.

Being the Calm in the Storm

In seiner letzten – wundervollen und sehr hörenswerten – Predigt im August 2023 in Flint, Michigan, „Being the Calm in the Storm“ spricht Michael Dowd über den Umgang mit der ökologischen, gesellschaftlichen und spirituellen Krise unserer Zeit. Er beschreibt, dass wir uns als Zivilisation in einer Phase der Kontraktion und des Kollapses befinden – ein Muster, das sich historisch immer wiederholt hat. Dowd betont, dass es in solchen Zeiten besonders wichtig ist, für sich selbst und andere ein Ruhepol, ein „Auge im Sturm“, zu sein.


„Was tun in chaotischen Zeiten des Kollapses? Wie können wir in schwierigen Zeiten ein Segen für andere sein? Es gibt immer Menschen, die in einer Welt, die immer verrückter erscheint, die Ruhe im Sturm sein können. Sei nicht nur die Ruhe, sondern ein Ort der Erdung, der Liebe, des Mitgefühls, der Großzügigkeit und Inklusion. Sei aber auch eine Inspiration für andere. Sei so, dass andere Hoffnung schöpfen, wenn sie sehen, wie du lebst, wie du handelst, wenn sie die Nachrichten sehen und die Situation verstehen, wenn sie von den enormen Herausforderungen der Welt hören, in Bezug auf das Klima, das Wetter, die Politik und alles andere. Ich ermutige dich, weiterhin für Gerechtigkeit, Inklusion, Frieden und ökologische Nachhaltigkeit zu arbeiten, aber tu es mit dem Wissen, dass es die Welt nicht retten und nicht verändern wird. Aber es kann helfen, deine Seele zu retten.“

TEOTWAWKI

Down spricht auch von TEOTWAWKI: The end of the world as we know it. Das Ende der Welt, wie wir sie kennen.

„Die Ruhe im Sturm zu bewahren bedeutet nicht, die Dinge zu leugnen. Es bedeutet nicht, an der Hoffnung festzuhalten, es bedeutet nicht, darauf zu beharren, dass der Fortschritt ewig ist. Es bedeutet ganz einfach, zu akzeptieren, was wir nicht ändern können, zu akzeptieren, dass bereits Muster am Werk sind: Die Wälder der Welt werden weiterhin stärker, heftiger und heißer brennen … wahrscheinlich die nächsten hundert Jahre lang. Und wir können nichts tun, um es zu stoppen oder zu verlangsamen. Es ist bereits im außer Kontrolle geratenen Modus. Die Ozeane erwärmen sich so stark, dass die Korallenriffe der ganzen Welt oder fast alle der Welt verloren gehen werden. Wir haben darauf keinen Einfluss. Und ich werde nicht weiter darauf eingehen, ich könnte ewig so weitermachen. Aber es gibt Muster, die bereits außerhalb der menschlichen Kontrolle liegen.

Daher ist es nicht deine Schuld, wenn du nicht recycelst. Oder weil du immer noch Fleisch isst oder immer noch Auto fährst. Es ist niemandes Schuld. Wir sind einfach nur Teil einer ökozidalen Zivilisation, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Und wir sind Teil einer ökozidalen Tradition, die seit etwa 6.000 oder 7.000 Jahren den Menschen in den Mittelpunkt stellt. So können wir die Schuld loswerden und wir können das Urteil loswerden. Das ist einfach die Realität. Also akzeptiere das und tue dann alles, was du kannst, um für andere die Ruhe im Sturm zu sein.“

Kernpunkte der Rede:

  • Akzeptanz der Realität: Dowd fordert dazu auf, die Unvermeidlichkeit des zivilisatorischen und ökologischen Kollapses anzuerkennen, ohne in Panik, Schuld oder Schuldzuweisungen zu verfallen. Er sieht dies als Voraussetzung, um wirklich ruhig und handlungsfähig zu bleiben.
  • Drei Wege zur inneren Ruhe:
    1. Intime Beziehung zum Leben „nurture intimacy with life“: Er empfiehlt, eine persönliche, liebevolle Beziehung zur Natur und zum Leben zu pflegen – unabhängig davon, ob man religiöse Begriffe verwendet oder nicht. Dies kann durch bewusste Atmung, Naturbeobachtung oder kleine ökologische Handlungen geschehen.
    2. Bewusstheit der eigenen Sterblichkeit „honor your and our mortality“: Dowd rät, sich regelmäßig die eigene Endlichkeit vor Augen zu führen. Die Anerkennung der eigenen und kollektiven Sterblichkeit hilft, das Leben bewusster und dankbarer zu leben.
    3. Sinnvolles Handeln trotz Unsicherheit „attend to what matters most“: Er ermutigt dazu, auch ohne die Hoffnung auf „Rettung“ weiterhin Gutes zu tun – für sich, für andere und für die Welt. Nicht, weil es die Welt retten wird, sondern weil es das Richtige ist und der eigenen Integrität dient. Tu etwas, worin du gut bist.
  • Spirituelle und praktische Haltung: Dowd verbindet seine ökologische Sicht mit einer spirituellen Haltung, die er als „post-doom, no gloom“ beschreibt. Nach der Akzeptanz des Unvermeidlichen öffnet sich ein Raum für Gelassenheit, Mitgefühl und Dankbarkeit. Er betont, dass es nicht mehr darum geht, „die Welt zu retten“, sondern darum, im Kleinen Segen zu sein und anderen Halt zu geben.
  • Abschließende Botschaft: Dowd schließt mit der Aufforderung, die eigene Haltung nicht von Hoffnung oder Angst bestimmen zu lassen, sondern von einer tiefen Akzeptanz und dem Wunsch, ein Segen für andere zu sein – unabhängig davon, wie die äußeren Umstände sich entwickeln.

Zitat aus der Rede:

„Being the calm in the storm means accepting what we cannot change, nurturing a more intimate relationship with life, befriending our mortality, and serving others with loving kindness and truth – even as the world grows more chaotic.“

Diese Rede gilt als Vermächtnis von Michael Dowd und fasst die Essenz der Post-Doom-Mentalität zusammen: Ehrliche Akzeptanz, tiefe Dankbarkeit und aktives Mitgefühl als Antwort auf die großen Krisen unserer Zeit. Sich anzupassen bedeutet nicht, aufzugeben. Im Gegenteil.

Fazit: Hoffnung jenseits der Hoffnung

Die Post-Doom-Mentalität nach Michael Dowd ist eine Einladung, der ökologischen Wahrheit ins Auge zu sehen, Trauer zuzulassen und dennoch Sinn, Freude und Mitgefühl im Handeln zu finden – unabhängig vom Ausgang. Für die Nachhaltigkeits- und Klimabewegung kann dieser Ansatz helfen, neue Wege der Resilienz, Solidarität und inneren Stärke zu entwickeln.

„Post-doom ist eine furchtlose Ehrfurcht vor dem Leben und eine expansive Dankbarkeit – selbst inmitten des Zusammenbruchs.“
– Michael Dowd

Gerade für jene, die sich für Nachhaltigkeit engagieren, kann Dowds Ansatz eine wertvolle Orientierung bieten: Nicht aus Hoffnung auf Rettung, sondern aus Liebe zum Leben und zur Mitwelt zu handeln – „no matter what“. Denn gerade aktive Menschen aus der Klimabewegung tun sich besonders schwer damit, den Kollaps zu akzeptieren.

Quellen:

  • https://en.wikipedia.org/wiki/Post-doom
  • https://anotherendoftheworld.org/2020/04/18/love-at-the-end-of-our-world-post-doom-interview-with-michael-dowd/
  • https://en.wikipedia.org/wiki/Michael_Dowd
  • https://humansandnature.org/michael-dowd/
  • https://theviewfromthisseat.blogspot.com/2022/01/facing-grief-of-looking-up-looking.html
  • https://postdoom.com/challenges/
  • https://postdoom.com/
  • https://www.darkoptimism.org/2019/08/22/a-post-doom-conversation-with-michael-dowd/
  • https://fore.yale.edu/blogs/entry/1698318104
  • YouTube: Postdoom-conversations: https://www.youtube.com/playlist?list=PLcAlqMeyeaW91q0fUuOWHKEaGTCL41ItE
  • https://www.youtube.com/playlist?list=PLcAlqMeyeaW_WR1kmhvI13bf2mNWbmltd
  • https://www.youtube.com/watch?v=SgmadJnNdL8
  • https://www.youtube.com/watch?v=CfzWBNLTf6I
  • Spotify: https://open.spotify.com/show/7CvhryQ9a3vZWApSrc4S1c
  • https://humanizemepodcast.com/episodes/509-510-511/
  • https://soundcloud.com/michael-dowd-grace-limits/michael-nabert-how-ill-die-when-and-why
  • https://www.youtube.com/watch?v=le1TzMsGXkg

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