Welche Vorteile bringt ein verringertes Fahrtempo?
Für die einen eine nicht nachvollziehbare Freiheitseinschränkung, für die anderen unausweichliche Notwendigkeit und die derzeit einfachste, billigste, sozialste und schnellste Klimaschutzmaßnahme ohne großen Wohlstandsverlust: Ein (freiwilliges oder gesetzliches) Tempolimit von 100 statt 130 km/h auf Autobahnen. 7,2 Millionen Autos gibt es in Österreich – das Wirkungspotential könnte daher sehr hoch sein.
Der Verein VCÖ – Mobilität mit Zukunft hat die Wirkungen einer Reduktion der Fahrgeschwindigkeit analysiert. Im Folgenden eine Zusammenfassung der Ergebnisse:
1. Mehr Verkehrssicherheit durch einen kürzeren Anhalteweg
Der Anhalteweg ist jene Strecke, die für Reaktion und Bremsen benötigt wird, bis das Auto zum Stillstand kommt.
- Tempo 100: 74 Meter
- Tempo 130: 123 Meter
Mit Tempo 130 hat das Auto nach 74 Metern Anhalteweg noch immer eine Geschwindigkeit von 97 km/h! Durch ein 100er-Tempolimit käme es daher zu weniger schweren Autounfällen.
2. Die Fahrbahn wird leistungsfähiger
Was heißt das? Die Leistungsfähigkeit einer Fahrbahn drückt aus, wie viel Kfz sie pro Stunde aufnehmen kann. Je höher sie ist, umso weniger Staus und Fahrzeit-Verzögerungen gibt es.
- Tempo 100: 2.440 Kfz pro Stunde
- Tempo 130: 2.250 Kfz pro Stunde
Klingt paradox: Ein niedrigeres Tempolimit kann dazu führen, dass die Kfz-Lenker*innen in Summe schneller ans Ziel kommen. So wie es auf Rolltreppen zu Stoßzeiten besser ist, stehen zu bleiben, weil der Rückstau damit für alle kürzer wird (dazu gibt es eine Studie aus den Londoner U-Bahnen).
3. Geringerer Spritverbrauch & Höhere Reichweite
- Tempo 100: 146g CO2e/km (5,4 Liter pro 100 km)
- Tempo 130: 190g CO2e/km (7 Liter pro 100 km)
Die Treibhausgasemissionen lassen sich bei Tempo 100 statt 130 daher um knapp ein Viertel reduzieren. Reduziert man nochmals von 100 auf 80, kommen laut deutschem Umweltbundesamt weitere 5 bis 9 Prozent Ersparnis hinzu. Die Reichweite bei E-Autos erhöht sich um 40 Prozent, bevor ein neues Laden nötig wird.
4. Reduzierte Stickstoff- und Feinstaub-Emissionen
- Tempo 100: 0,286g/km Stickstoff-Emissionen (NOX) und 0,005g/km Feinstaub-Emissionen (PM10)
- Tempo 130: 0,569g/km Stickstoff-Emissionen (NOX) und 0,008g/km Feinstaub-Emissionen (PM10)
Das bedeutet, die Feinstaub-Emissionen werden durch Tempo 100 statt 130 um ein Drittel (34%) reduziert, die Stickstoff-Emissionen sogar um die Hälfte (50%).
Welche Auswirkungen hat Stickstoff und Feinstaub auf unsere Gesundheit?
Stickstoff:
Stickstoffdioxide sind Reizgase, die zu Asthma und Allergien führen und das gesamte Immunsystem schwächen. Kurzfristig kommt es zu Atemwegs- oder Herzbeschwerden, langfristig zu einer Zunahme von Todesfällen durch Atemwegserkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Lungenkrebs. Besonders betroffen sind Säuglinge, ältere Personen und chronisch Kranke.
Feinstaub:
Feinstaubpartikel sind so klein, dass sie tief in die Lunge eindringen können, die Lungenfunktion und damit die Leistungsfähigkeit einschränken können und zu frühzeitigen Todesfällen führen. Nicht nur die Atemwege, sondern auch das Herz-Kreislauf-System wird in Mitleidenschaft gezogen. Ein Drittel des Feinstaubs stammt aus Reifenabrieb und der Wiederaufwirbelung von Straßenstaub. Lest gerne auch unseren eigenen Beitrag über Feinstaub. Je geringer das Tempo, umso weniger Reifenabrieb und Aufwirbelung.
5. Weniger Verkehrslärm
- Tempo 100: 54 Dezibel (20.000 Kfz/Tag)
- Tempo 130: 57 Dezibel (20.000 Kfz/Tag)
Die Reduktion klingt nach wenig, eine Reduktion um drei Dezibel wird allerdings vom menschlichen Ohr wie die Halbierung (!) der Verkehrsmenge wahrgenommen. (Quelle: VCÖ 2017)
Und sonst?
Weitere Vorteile, die der VCÖ nicht dezidiert untersucht hat: Wir kommen mit einem geringeren Stresspegel an, da die Fahrt entspannender ist. Und Schienenverkehr erscheint uns attraktiver.
Gibt es auch Nachteile einer reduzierten Geschwindigkeit? Ein paar Minuten Zeitverlust im Einzelfall, mehr fällt uns jetzt nicht ein.
Was ist mit Freilandstraßen? Vor- und keine Nachteile bringt natürlich auch eine Reduktion des Tempos von 100 auf 80 auf Freilandstraßen.
In den Niederlanden und in Norwegen gibt es übrigens (zumindest teilweise bzw tagsüber) schon das Tempolimit von 100 auf allen Autobahnen.
Quelle:
- https://www.vcoe.at/service/fragen-und-antworten/welche-wirkung-hat-tempo-100-statt-130
- Umweltbundesamt 2022 https://www.umweltbundesamt.at/umweltthemen/mobilitaet/mobilitaetsdaten/tempo
- Benedikt Naradoslawsky: Dämliches Tempo – FALTER.natur #69
- Warum Sie auf Rolltreppen nicht laufen sollten | STERN.de
Weitere dazu passende Beiträge auf unserer Webseite:
- VCÖ – Mobilität mit Zukunft
- Spritsparend Autofahren
- Feinstaub – wenn die Luft knapp wird
- Petition – Tempo senken, Leben retten
Auch interessant:
Die Tageszeitung Der Standard hat übrigens einen Rechner entwickelt, aus dem ersichtlich ist, wie viel Liter Treibstoff und CO2 man einspart und wie viel man länger braucht, wenn man Tempo 100 statt 130 fährt. Unseres Erachtens ist der Zeitverlustvergleich allerdings jener „im optimalen Fall“, also wenn man auf allen 130-Strecken auch sonst wirklich durchgehend 130 fahren hätte können, was ja meist auch nicht der Fall ist. Der im Rechner berechnete Zeitverlust kann daher weiter reduziert werden. Tatsächliche Erfahrungen der Strecke Wien – Graz sprechen von einem Zeitverlust von nur 10 Minuten.
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