Moralische Lizenzierung

Der Freifahrtschein für klimaschädliches Verhalten

Moralische Lizenzierung beschreibt das psychologische Phänomen, dass Menschen eine schlechte Tat vollbringen können, ohne Schuldgefühle dabei zu haben – vorausgesetzt, sie sind sich sicher, davor eine gute Tat vollbracht zu haben. Beim Moral Licensing handelt es sich also „um eine unbewusste Ausgleichsmaßnahme, die letztlich auch in einer Art moralischem Freibrief münden kann.“ (Stangl, 20231). So kann uns unsere eigene Psyche des Öfteren einen Strich durch die Rechnung machen, selbst wenn wir klimafreundlich und bewusst leben wollen.

Moralische Lizenzierung in der Klimakrise


Geht es um die Bereitschaft, klimafreundliche Handlungen zu setzen, ist moralisches Lizensieren ein einfaches Mittel, wenig zu tun und dennoch ein gutes Gewissen dabei zu haben. Gute Taten werden auf ein moralisches Konto eingezahlt. Solange die guten Taten im Vergleich zu den schlechten gefühlsmäßig überwiegen, geht es dem Gewissen gut.

Beispiele für das Phänomen

  • Nach dem Kauf von Bio-Produkten wird der Konsum von Fast Fashion weniger kritisch gesehen.
  • „Ich lebe schon vegan, fahre E-Auto und tu überhaupt so viel, da darf ich mir wenigstens erlauben, in den Urlaub zu fliegen.“
  • Nach der CO2-Kompensation für Flüge kann es dazu kommen, dass das Fliegen an sich als unproblematisch angesehen wird.
  • Personen, die regelmäßig recyceln, neigen dazu, den Wasser- oder Energieverbrauch weniger zu hinterfragen.

Den Müll hinuntertragen, ihn brav in die richtigen Mülltonnen zu entsorgen und dann mit gutem Gewissen ins Flugzeug zu steigen, ist so ein Beispiel.

Denn laut einer Grafik von A. Hoeben und T. Brudermann ist Mülltrennen einfach, bringt aber im Vergleich zu anderem relativ wenig. Aufs Fliegen zu verzichten hingegen ist für manche um vieles schwieriger, jedoch eine äußert wirksame Entscheidung auf persönlicher Ebene. Allgemein kann man sagen, dass die wirksamsten Handlungen zumeist die schwierigsten sind. Somit ist „Moralisches Lizensieren“ ein äußerst beliebter – unbewusster Mechanismus, unsere (klimaschädlichen) Gewohnheiten guten Gewissens beizubehalten.

Mentaler Rebound-Effekt

Vermeintlich positive ökologische Umstellungen können gleich viel oder sogar mehr Ressourcen verbrauchen als das ursprüngliche Konsumverhalten. Denn die Gewichtung der Taten spielt dabei keine Rolle. Wir rechtfertigen also auch größere Verfehlungen mit kleineren positiven Handlungen. Beispiel: ein größeres Auto für ein kleineres mit weniger Treibstoffverbrauch einzutauschen, führt – basierend auf Untersuchungen – zu dem Verhalten, mit diesem mehr Kilometer zurückzulegen oder den Rest des Geldes in andere Konsumgüter oder Flugreisen zu stecken.2 Die gute Tat, ein weniger ressourcenintensives Auto zu fahren, wird hier zumindest teilweise wieder zunichte gemacht, indem man sich mit anderen Konsumhandlungen dafür belohnt. Somit hängt moralische Lizenzierung mit dem sogenannten Rebound-Effekt zusammen.3

Moralische Lizenzierung und Gruppenzugehörigkeit

Moralisches Lizenzieren findet in vielen Bereichen der Gesellschaft statt. Menschen, die ihre hohe Moral aus einer für sie wichtigen Gruppenzugehörigkeit ableiten, sind besonders gefährdet, sich selbst unmoralisches Verhalten herauszunehmen. Das gilt für Religionen, Unternehmen, Politik, Vereine und Organisationen gleichermaßen. Denn fühlt sich jemand einer Gruppe zugehörig, reicht es, dass diese Gruppe etwas „Gutes“ tut, damit sich der Einzelne moralisch überlegen fühlt.

Diese vermeintliche Überlegenheit gilt dann als Rechtfertigung dafür, sich in gewissen Situationen „schlecht“ zu verhalten. Aus Untersuchungen geht hervor, dass diese Menschen Gefahr laufen, sich gerade aufgrund einer Gruppenzugehörigkeit intolerant, unsozial, unmoralisch oder ungerecht anderen gegenüber zu verhalten.4 Ein Beispiel wäre: „Wir in Österreich/Deutschland tun eh schon so viel für Klimaschutz!“

Moralisches Lizenzieren aufdecken

Da die Verhaltensweisen, die sich aus der moralischen Lizenzierung ergeben, meist unbewusst ablaufen, müssen wir Bewusstsein für dieses Phänomen schaffen, um unser Verhalten überhaupt ändern zu können. Der erste Schritt ist es daher, über den Mechanismus Bescheid zu wissen. Teile daher gerne die Informationen aus diesem Artikel, wenn jemand im Gespräch wieder behauptet, „doch Fliegen zu dürfen, weil sie/er eh schon so viel macht“.

Danach kann man sich aufrichtig selbst fragen, notieren und reflektieren, in welchen Situationen oder Bereichen man schon einmal ein „schlechtes“ Verhalten mit einer „guten“ vorausgegangenen Handlung entschuldigt hat. Stell dir die Fragen: „Reagiere ich gerade moralisch richtig? Was fühle ich in diesem Moment? Welche Konsequenzen hat mein Handeln? wie rechtfertige ich gerade dieses Handeln?“ Versuche, jede Handlung einzeln zu betrachten. Das hilft, den Fokus auf konsequent nachhaltiges Handeln zu legen, ohne sich durch einzelne gute Taten zu „belohnen“.

Und dann die Frage: Fühle ich mich als Person oder aufgrund meiner Gruppenzugehörigkeit moralisch überlegen? Und wie wirkt sich das auf mein Verhalten aus?

Übrigens: Dieser Artikel soll persönliches Konsum- und Umweltverhalten nur erklären und nicht anprangern. Es ist wichtig, sich immer wieder kritisch selbst zu hinterfragen.

Quellen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Moralische_Lizenzierung
https://www.klimapsychologie.com/wp/
1https://lexikon.stangl.eu/16141/moral-licensing
2https://www.econstor.eu/bitstream/10419/59299/1/716107694.pdf; (S 14-15)
3https://www.co2online.de/fileadmin/co2/research/moral-licensing-oekowirtschaften.pdf
4https://democraseeds.de/moralische-lizenzierung-erkennen-und-moderieren/

Grafiken: creative commons license CC-BY-ND

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