Pluralistische Ignoranz

Warum viele lieber nicht über die Klimakrise sprechen

Beim Online-Vortrag der Psychologin & Nachhaltigkeitscoach Anna Pribil zu „Von Klimaangst zu Klimaresilienz“ vom Juni 2022 habe ich wieder einmal den Begriff „Pluralistische Ignoranz“ gehört. Als Hobbypsychologin habe ich daraufhin sofort mit der Recherche begonnen und möchte meine Erkenntnisse – wie immer kurz und knackig – mit euch teilen. Denn wir versäumen vor allem in der so dringend nötigen Klimakommunikation einiges, indem wir mit Äußerungen zu kontroversen Themen vorsichtig sind, weil wir einem Irrtum auferliegen.

Definition

Pluralistische Ignoranz ist ein Begriff aus der Sozialpsychologie (Allport 1924, Miller und McFarland 1987) und beschreibt einen Zustand der Fehleinschätzung, in dem wir einer bestimmten Überzeugung sind, aber fälschlicherweise glauben, alle anderen in der Gruppe seien anderer Meinung. Weil wir irrtümlich meinen, selbst eine Minderheitenposition zu vertreten, schweigen wir.

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Herkunft

Der Instinkt der Pluralistischen Ignoranz stammt wahrscheinlich aus dem Sippendenken der Steinzeit, in dem auf drohende Gefahren richtig reagiert werden musste. Wenn einer aus der Sippe die Flucht ergriff oder einen Angriff vorbereitete, mussten die anderen folgen. In der heutigen Zeit kommt es aber zu immer mehr Fehlreaktionen, weil wir uns immer sicherer fühlen und abgestumpft sind. Die Wahrnehmung von Gefahren wurde einerseits verlernt, andererseits wollen wir auch als cool und gelassen wahr genommen werden. Jeder Einzelne passt sich so dem passiven Verhalten der Menge an. Die Untätigkeit der anderen wird als Hinweis darauf interpretiert, dass das Ereignis (hier: die Klimakrise) nicht schwerwiegend und daher keine Reaktion nötig ist.

Gefahr?

In Notfallsituationen kann es dazu führen, dass niemand etwas unternimmt, weil man sich dem passiven Verhalten der Menge anpasst. Für die Beurteilung einer Gefahr schauen wir – als soziale Wesen – vor allem auf unsere Mitmenschen, insbesondere auch auf Entscheidungsträger*innen. Siehe dazu auch unseren Artikel über den Bystander-Effekt. Wir brauchen daher einerseits Menschen, die als erste handeln oder in der Gruppe generell zum Modell werden.

Relevanz für den Klimaschutz?

Auf unsere so wichtige Klimakommunikation umgelegt kann die Pluralistische Ignoranz mehreres bedeuten. Einerseits, dass die Gefahr der Klimakrise durch die nach wie vor vorhandene Untätigkeit der Entscheidungsträger*innen und anderer Menschen nicht gesehen wird. Die Krise wird ja noch immer nicht als Krise behandelt. Die Untätigkeit suggeriert, dass alles okay sei. Das fördert Verdrängung und Leugnung.

Andererseits bedeutet Pluralistische Ignoranz aber auch, dass wir als Klimaschutzinteressierte in einer Gruppe, beim Mittagessen im Büro, beim Treffen mit Freunden, etc eher schweigen, weil wir fälschlicherweise annehmen, wir wären mit unserer Einstellung allein und die anderen interessiere das Thema nicht oder seien sogar genervt. Dabei wird der Anteil der anderen, sich für das Klima einsetzen zu wollen, viel zu gering eingeschätzt. In Wirklichkeit sind Menschen, die wegen des Klimawandels besorgt sind, allerdings in der Mehrheit, nur wissen sie es nicht.

Schweigespirale

Wird die Bereitschaft anderer am Klimaschutz aber permanent unterschätzt, kommt es zu einer sogenannten „Schweigespirale“ und kann dies eine lähmende Wirkung haben. Und dazu führen, dass eine laute Minderheit tatsächlich die Mehrheit erringt. Das macht Gesellschaften anfällig für Instrumentalisierungsversuche durch meinungsstarke, geschickt agierende Gruppen. Durch die Annahme, allein mit der Überzeugung zu sein, etwas gegen die Klimakrise tun zu wollen, verleihen wir dieser Überzeugung nicht Gehör und setzen sie in der Öffentlichkeit dann auch selten in die Tat um (was allerdings für die Vorbildwirkung und für die Schaffung einer sozialen Norm sehr wichtig wäre). „So bleibt es dabei, dass viele etwas gegen den Klimawandel tun wollen und dennoch vermuten, damit in der Minderheit zu sein.“

Ausweg aus der Schweigespirale? Gespräche!

Wie kann es nun gelingen, genügend Menschen zu einem klimabewussten Leben zu motivieren? Über den Klimawandel in so vielen Gesprächen als möglich reden, denn je mehr Menschen darüber sprechen, umso weniger Hemmnisse gibt es auch, sich offen darüber auszutauschen. Diejenigen, die sich klimabewusst verhalten, sollten auch mehr über dieses Verhalten sprechen. Weil Menschen eben nicht oder zu wenig miteinander reden, kommt es zur pluralistischen Ignoranz. [Wir müssen über die Klimakrise reden]

Cartoon mit Menschengruppe und Sprechblasen
© pixabay_geralt

Ist das nicht auch eine Chance für die Klimapolitik?

Klimaschutz sollte als gesellschaftliche Norm wahrgenommen werden. Wir Menschen sind soziale Wesen, wir wollen „dazugehören“ und schauen uns Verhaltensweisen von anderen ab. Soziale Normen haben eine fast unheimliche Macht über uns, auch wenn wir davon nichts bemerken. Studien zeigen, dass auch die Bereitschaft einzelner steigt, klimapolitische Maßnahmen zu unterstützen, sobald die Teilnehmenden über das volle Ausmaß der Bereitschaft anderer informiert werden.

Ein Experiment aus 2008 zeigte zum Beispiel, dass jene Menschen, die die Information erhielten, ihre Nachbarn leben bereits energiesparsam, ihren Stromverbrauch am meisten reduzierten. Diese Information wirkte mehr, als der Hinweis auf Kostenreduktion oder auf Umweltschutz. Wenn wir alle im gleichen Boot sitzen und die Mehrheit rudert, dann rudern wir mit.

Der Effekt der Pluralistischen Ignoranz ist der größte Gegner von Zivilcourage und Engagement. Das Wissen darüber kann aber schon der erste Schritt zur Überwindung sein.

Andere interessante Links zur Klima-Psychologie und -Kommunikation auf unserer Seite:

Linksammlung

  • https://www.freitag.de/autoren/webling/warum-wir-oft-alle-gemeinsam-daneben-liegen
  • https://www.econtribute.de/RePEc/ajk/ajkpbs/ECONtribute_PB_022_2021.pdf
  • https://www.klimafakten.de/meldung/warum-viele-menschen-lieber-nicht-ueber-den-klimawandel-sprechen
  • https://www.deutschlandfunkkultur.de/klimapsychologie-allein-gegen-den-klimawandel-102.html
  • https://www.imageberater-nrw.de/psychologie/pluralistische-ignoranz-zuschauer-effekt/
  • Beispiel: Märchen – Des Kaisers neue Kleider

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Ein Kommentar:

  1. Ursula Schütze

    Ich habe ganz oft den Eindruck, dass es die anderen nervt, aber ich spreche trotzdem weiter darüber! Danke für diese tolle Erklärung… 😊

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