Präventionsparadox und Trittbrettfahrer-Problematik – Psychologische Barrieren für Klimaschutzmaßnahmen
Wir kennen das: Dringend notwendige Klimaschutzmaßnahmen werden verschoben, zerredet und hinausgezögert. Oft gibt es politische, rechtliche oder technologische Hindernisse. Auch die Rolle der Psychologie darf nicht unterschätzt werden. Wir haben uns heute zwei wesentliche psychologische Phänomene herausgepickt, denen wir in verschiedenen Kontexten – und so auch in der Klimapolitik – begegnen können: die Trittbrettfahrerproblematik und das Präventionsparadox.
Die Trittbrettfahrerproblematik
Eigentlich wäre das Prinzip recht einfach: Möchten wir dem Klimawandel sinnvolle Maßnahmen entgegensetzen, muss jedes Land, jede Institution, jedes Unternehmen und jede Einzelperson ihren Beitrag leisten. Einzelne Maßnahmen isoliert betrachtet, mögen unbedeutend erscheinen, in Summe sind sie aber wesentlich. Nur, wer fängt an?
Sicher habt ihr in Gesprächen schon folgende Sätze gehört: „Wenn Österreich XY durchsetzt, bringt das doch nichts. Soll doch erstmal China seinen CO2-Ausstoß senken.“ Geht es um den persönlichen Lebensstil kann man sich auch manchmal selbst bei solchen oder ähnlichen Gedanken ertappen: „Wieso soll ich mein Auto stehen lassen, wenn mein Nachbar drei Mal jährlich in den Urlaub fliegt?“. Dahinter liegt die sogenannte „Trittbrettfahrerproblematik“, ein Dilemma, das ursprünglich in der Ökonomie beschrieben wurde. Es tritt ein, wenn Menschen von gemeinsamen Ressourcen profitieren, sich den entstehenden Aufwand aber nicht teilen.
Wenn beispielsweise viele Menschen in der Stadt auf den öffentlichen Verkehr umsteigen, bedeutet das weniger Staus, weniger Lärmbelästigung und bessere Luft. Davon profitiert auch Hr. Mustermann, der weiterhin täglich Auto fährt. Er profitiert sogar überproportional, schließlich schränkt er sich selbst nicht ein – er ist der „Trittbrettfahrer“. Auf höherer Ebene sieht das nicht anders aus: Reduziert ein Land seine Abgase um 100%, trägt es auch 100% der Kosten, muss sich den zukünftigen Nutzen aber mit anderen „Nichtstuern“ teilen. In diesem Umfeld fällt der erste Schritt besonders schwer.
Das Präventionsparadox
Das zweite spannende Phänomen, das wir betrachten wollen, ist das sogenannte Präventionsparadox. Dieses wurde bereits in den 1980igern im Bereich der Gesundheitsvorsorge beschrieben.
Das Präventionsparadox besagt folgendes: Je besser Präventionsmaßnahmen, z.B. Änderungen im Lebensstil, Impfungen oder Maßnahmen der Verkehrssicherheit, tatsächlich wirken, desto mehr wird der Ernst der Lage retrospektiv unterschätzt. Tritt nun die prognostizierte Krise – dank der ergriffenen Maßnahmen – nicht ein, kommt es zum Vertrauensverlust in deren ursprüngliche Notwendigkeit. Die Politik, welche von Individuen tiefgreifende Verhaltensänderungen forderte, gerät im Nachhinein in Erklärungsnot. Es heißt dann schnell, Maßnahmen wären „überzogen“ gewesen oder die vermeintliche Krise hätte ja gar nicht stattgefunden.
Ähnlich wie beim Trittbrettfahrerphänomen kommt das Präventionsparadox vor allem bei Vorsorgemaßnahmen zum Tragen, die der Gesellschaft als Ganzes großen Nutzen bringen, dem Einzelnen – zumindest in seiner subjektiven Wahrnehmung – jedoch nur wenig.
Psychologie in der Gestaltung und Kommunikation von Maßnahmen berücksichtigen
Die Kenntnis dieser und ähnlicher psychologischer Phänomene kann für die Gestaltung und Kommunikation von Klimaschutzmaßnahmen nützlich sein. Das Trittbrettfahrerphänomen und das Präventionsparadox haben gemeinsam, dass der individuelle Nutzen von Maßnahmen tendenziell gering eingeschätzt wird. Beim Klimaschutz tritt erschwerend hinzu, dass viele Ergebnisse erst in mehreren Jahren oder sogar Jahrzehnten sichtbar werden.
Für die Kommunikation von notwendigen Maßnahmen ist es daher empfehlenswert, sich so gut wie möglich auf deren kurzfristigen und individuellen Nutzen zu konzentrieren. Das können auch positive Nebeneffekte sein, die schneller greifbar sind als das eigentliche Ziel. Am Beispiel Verkehrswende könnte der kurzfristige und individuelle Nutzen die finanzielle Ersparnis durch den Verzicht auf einen eigenen PKW sein.
Möchte man Verhaltensänderungen herbeiführen, muss man jedenfalls verstehen, wie der Mensch „tickt“ und welche psychologischen Barrieren gegebenenfalls dem Ziel entgegenstehen.
Kurz zusammengefasst:
- Profitiert eine Person von einer Maßnahme, ohne sich am Aufwand zu beteiligen, kann das zur Trittbrettfahrerproblematik führen. In diesem Fall möchte niemand den ersten Schritt machen.
- Werden erfolgreiche präventive Maßnahmen nachträglich hinterfragt, da ja „keine Krise eingetreten“ ist, spricht man vom Präventionsparadox.
- Beiden Phänomenen ist gemeinsam, dass der individuelle Nutzen der Maßnahme gering eingeschätzt wird.
- In der Kommunikation von Maßnahmen sollte man daher auch den kurzfristigen, sichtbaren und individuellen Nutzen betonen.
Quellen:
- Präventionsparadox. Online Lexikon für Psychologie & Pädagogik, Stangl, W., 16.01.2024, https://lexikon.stangl.eu/28841/praeventionsparadox
- CO2-Reduktion wird erst nach Jahrzehnten sichtbar, MDR.de, 07.07.2020, https://www.mdr.de/wissen/klimaschutz-senkt-temperatur-erst-nach-jahrzehnten-100.html
- Die Trittbrettfahrerproblematik: Ökonomie und Klimaschutz, UBS.com, 15.07.2020, https://www.ubs.com/microsites/nobel-perspectives/de/latest-economic-questions/environmental-economics/articles/free-rider-problem-economics.html
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